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Extremtemperaturen weltweit: Verkehrsminister Wissings Liebe zum Auto

www.faz.net Extremtemperaturen weltweit: Verkehrsminister Wissings Liebe zum Auto

Die halbe Welt brutzelt und kocht oder steht gleich in Flammen, und der Bundesverkehrsminister zieht als Retter in die Hitzeschlacht. Es ist sein Kampf gegen das Aussterben der Autos.

Extremtemperaturen weltweit: Verkehrsminister Wissings Liebe zum Auto

Was meint ihr, wird sich der Druck auf Wissing nun langsam, auch innerhalb der FDP, verstärken?

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Die halbe Welt brutzelt und kocht oder steht gleich in Flammen, und der Bundesverkehrsminister zieht als Retter in die Hitzeschlacht. Es ist sein Kampf gegen das Aussterben der Autos.

Erst kam der heißeste je gemessene Tag, dann die heißeste Woche, und noch bevor dieser mutmaßlich heißeste Juli auf Erden sich seinem Ende neigt, können wir sicher sein: Der Bundesverkehrsminister ist schon wieder auf der Flucht. Nur ist die Frage, wohin? Volker Wissing jedenfalls hat den globalen Klimanotstand, der gerade die halbe Welt im Würgegriff hält, erfolgreich hinter sich gelassen. Hitze ist nicht sein Thema, Klimasektorziele verweigert er, stattdessen kümmert er sich, wie gehabt, ums ungebremste Fahrvergnügen. Das Tempolimit setzt er inzwischen gleich mit „Abschaffung des Autos“ und „Mobilitätsverbot“. In seinen Worten: Die Klimaschützer, die so etwas forderten, ignorierten die Lebenswirklichkeit der meisten Menschen im Land.

Die angebliche Forderung nach Abschaffung des Autos gehört allerdings in die Reihe der liberalen Phantasmagorien, die als Symptom eines politischen Hitzestichs gleich nach dem Wärmepumpenzwang und der E-Auto-Pflicht kommen. Niemand hat das gefordert, aber bekämpfen will man es schon. So ist das, wenn einem die Hitze zu Kopf steigt. Wir wissen zwar nicht, wo Wissing seine Sommerpause verbringt, aber an dem Tag, als er wieder einmal auf Twitter in den Kampf gegen die Klimaaktivisten zog, herrschten in Rom, nicht weit vom Vatikan, satte 42,9 Grad – unfassbare zwei Grad über dem alten Rekordwert. Sizilien schwitzte bei 46,3 Grad, auf den Balearen waren es fast 44 Grad, in Katalonien mehr als 45 und in Badwater im kalifornischen Death Valley kletterte die Quecksilbersäule auf unmenschliche 53,3 Grad.

Am unteren Ende der Welt ist der Klimaschock nicht geringer

Das ist derzeit die Lebenswirklichkeit von Abermillionen und eben auch von deutschen Urlaubern. Wissing ignoriert sie. Aber wie sollte er sie auch bemerken? Er ist mit seiner eigenen Realität auf der Flucht, und die fährt weiter auf fossil angetriebenen Rädern durch die Welt und weiß sich mit Klimaanlangen leicht vor der Hitze zu schützen. Alle anderen begegnen in diesen Tagen einer meteorologischen Wirklichkeit, die sich gewaschen hat. Es sind dies nach Experteneinschätzung Vorboten eines überhitzten Planeten, die man kaum für möglich hält, wenn man nur die üblichen globalen Durchnittstemperaturanstiege um Zehntelgrade in Betracht zieht. Konkret: Kinder, die heute im Krippenalter sind, werden in ihrem Leben mutmaßlich siebenmal mehr Hitzewellen, dreimal so viele Überflutungen und Dürren sowie doppelt so viele Waldbrände erleben müssen wie wir Boomer – sollte beim Klimaschutz nicht endlich Bahnbrechendes passieren.

Warum in diesen Wochen simultan von Kontinent zu Kontinent und von China bis nach Afrika die Naturkatastrophen so zunehmen, hat viele Gründe. „El Nino“ ist eine, die Wärmeanomalie im Pazifik, die das Wettergefüge in vielen Teilen der Welt noch für gut ein Jahr gewaltig stören dürfte. Aber das ist bei weitem nicht der einzige Faktor. Ein instabiles Luftströmungssystem in der Atmosphäre, der Jetstream, ist ein weiterer Kandidat, ebenso die auch für Experten noch unerklärliche Überhitzung der Meere seit dem Frühjahr.

Mitte Juli war fast die Hälfte der weltweiten Ozeanfläche von marinen Hitzewellen betroffen – starke Temperaturanomalien wie jene im Golf und in der Karibik, wo das Wasser noch heute mehr als fünf Grad heißer als normal ist und die Prognose für das Ausbleichen, sprich: das mögliche Absterben riesiger Korallenriffe offiziell auf annähernd 100 Prozent beziffert wird. Historische und anhaltende Zerstörungen auch in Kanada: Lange vor dem Ende des Sommers sind schon jetzt zehn Millionen Hektar Wald verbrannt, eine Fläche so groß wie Portugal, und die Rauchschwaden zogen mit einer Ausdehnung in der Größe des gesamten Amazonasgebiets Zehntausende Kilometer über Nordamerika und darüber hinaus.

Am unteren Ende der Welt ist der Klimaschock nicht geringer. In der Antarktis etwa ist Winter, aber auf dem Meer drum herum bildet sich so wenig Eis, dass die Wissenschaftler von einem 4- oder 5-Sigma-Ereignis sprechen. Das heißt: Natürlicherweise wäre mit einem solchen Ausreißer bestenfalls alle 10.000 oder 100.000 Jahre zu rechnen. Kurzum: Der Mensch begegnet in ­diesen Tagen der brutalen Realität der Nicht-Lineratität unserer planetaren Existenzgrundlagen. Das Ausmaß der Ausschläge könnte klimapolitisch einiges bewirken, vielleicht sogar beim Verkehrsminister. Vorausgesetzt, er bekommt nach der Sommerpause auf der Autobahn den Blick frei auf die Lebensrealität der jungen Menschen.

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